Der Herausgeber, P. Gebhard Müller [1926 – 2010], studierte Theologie in Einsiedeln und Liturgiewissenschaft in Rom. Er wirkte als Lehrer an der Stiftsschule und an der Theologischen Schule des Klosters, von 1972 bis zu seinem Tod war er Vizebibliothekar der Stiftsbibliothek Einsiedeln. Wie er selbst im Vorwort betont, wurde er bei seinem Vorhaben, einen, den heutigen Ansprüchen genügenden, Inkunabelkatalog zu verfassen, von zahlreichen Fachleuten aus dem In- und Ausland unterstützt. PD Dr. Martin Steinmann, ehemaliger Konservator der Handschriften- und Inkunabelabteilung der Universitäts-Bibliothek Basel, stand dem Herausgeber, insbesondere bei der Lösung schwieriger Fälle, beratend zur Seite. Dr. Pierre L. Van der Haegen, Spezialist für Basler Inkunabeldrucke, lieferte wichtige Hinweise, ebenso wie Dr. Peter Amelung, ehemaliger Mitarbeiter der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, bei Begutachtung süddeutscher Drucke. Seine Bemühungen spiegeln sich im Katalog wieder. Ein Großteil der vorhandenen Werke konnte bibliographisch nachgewiesen werden, auch wenn einige Werke nur mehr fragmentarisch vorlagen. Nur wenige Werke verbleiben ohne bibliographischen Nachweis, wie z.B. ein Blatt aus einem unbekannten Kartenwerk aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert [Kat.-Nr. 461] oder ein Doppelblatt aus einer nicht eindeutig nachweisbaren Ausgabe des Doctrinale von Alexander de Villa Dei [Kat.-Nr. 323]. Müllers detaillierte Beschreibung der Diskussin, die er mit verschiedenen Fachleuten bezüglich der Druckertype geführt hat, zeigt die dem Katalog zugrundeliegende wissenschaftliche Arbeitsweise. Da man gewissermaßen nicht nur mit dem Ergebnis, sondern bei ‚schwierigen Fällen’ auch mit dem vorhergehenden Prozess konfrontiert wird, werden Müllers Entscheidungen bezüglich Datierung, Drucker/Verleger oder Druckort für den Leser nachvollziehbarer. Auch unter den Postinkunabeln befinden sich einige seltene Werke in der Stiftsbibliothek, wie z.B. eine Ausgabe der Ars minor von Aelius Donatus (Kat.-Nr. 1092), die bibliographisch nicht nachgewiesen werden konnte.
Beim Erstellen des vorliegenden Katalogs stützte sich Müller auf das Inkunabel-Verzeichnis des Stiftsbibliothekars P. Odo Lang, der ihm in den 90er Jahren auch den Auftrag erteilte „einen Inkunabelkatalog zu verfassen, der den heutigen Ansprüchen genügt“. Das Ergebnis der weit über ein Jahrzehnt andauernden Arbeit ist ein rund 900 Seiten starkes, optisch äußerst ansprechendes Werk
Inhaltlich lässt es sich grob in drei Teile untergliedern: Einleitung, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis (S. I – XXIX), Katalog (S. 1 – 759) und Register (S. 763 – 892).
Der einleitende Teil, der auch ein Geleitwort und ein Vorwort des Herausgebers enthält, ist insgesamt sehr knapp ausgefallen. Er liefert einen kurzen Abriss zur Geschichte der Inkunabelsammlung, die vom Einsiedler Bibliothekar P. Gall Morel (1803 – 1872) begründet wurde. Dieser trennte als erster die Inkunabeln vom restlichen Bibliotheksbestand und stellte sie gesondert auf. Sein handschriftlicher Katalog von 1839, der 155 Seiten umfasst, war bis zum Erscheinen des vorliegendes Katalogs in Gebrauch.
Der eigentliche Katalog besteht aus fünf Teilen. Der erste Teil enthält eine ausführliche Beschreibung des sogenannten Blockbuchs von Sankt Meinrad, des einzigen Werkes des Bestandes, das in xylographischer Technik zwischen 1450 und 1465 in Basel, vermutlich bei Isenhut, entstanden ist. Der zweite Teil umfasst die Inkunabeln, d.h. Drucke die bis zum Jahr 1500 einschließlich erschienen sind, der dritte Teil die Postinkunabeln, d.h. Drucke von 1501 bis 1520, der vierte Teil Werke aus dem 16. Jahrhundert, die den Inkunabeln und Postinkunabeln beigebunden worden sind. Der letzte Teil enthält Nachträge. Der wissenschaftliche Wert des Katalogs liegt nicht nur darin begründet, dass Müller mit seinem Werk ein Verzeichnis sämtlicher Frühdrucke eines geographisch begrenzten Raums in gedruckter Form vorlegt, sondern hauptsächlich in der Tatsache, dass er auch die sogenannten Postinkunabeln in seinen Katalog mit aufnimmt. Interessant ist, dass Müller damit auf eine veraltete Tradition von Inkunabelverständnis zurückgreift. Er folgt darin P. Morel, der mit den Inkunabeln auch die Postinkunabeln vom restlichen Bestand schied, gesondert aufstellte und in sein Verzeichnis aufnahm. Dass dies durchaus einem zeitgemäßen erweiterten Verständnis von Inkunabeln entsprach, zeigen auch zeitgenössische Inkunabelkataloge, wie Gustav Scherrers Inkunabelkatalog von St. Gallen aus dem Jahre 1880. So kann man dort im Vorwort folgendes lesen: „Bezüglich des Jahres, bis zu welchem ein Druckwerk als Incunabel anzusehen sei, nahm man bei Anordnung dieses Kataloges grundsätzlich das Jahr 1520 an.“ Im Gegensatz dazu halten sich modernen Grundsätzen entsprechende Kataloge, sowohl große Kataloge, wie der Katalog der British Library oder der Gesamtkatalog der Wiegendrucke, als auch Inkunabelkataloge einzelner Bibliotheken, an die konventionelle zeitliche Begrenzung der Inkunabelzeit. Doch gerade in dieser augenscheinlichen ‚Antiquiertheit’ liegt die größte Stärke von Müllers Katalog. Denn die konventionelle Begrenzung der Inkunabelzeit auf den 1. Januar 1501 als Terminus ante quem ist im Grunde eine vollkommen willkürliche. Dies sieht man auch daran, dass Inkunabelkataloge auch Werke mit aufnehmen, deren Inkunabelcharakter zweifelhaft ist, gerade weil es oft kein sicheres Kriterium gibt, eine Inkunabel von einer Postinkunabel zu unterscheiden. Zudem ermöglicht dieses ‚erweiterte Verständnis’ einen umfassenderen Überblick über die Epoche des frühen Buchdrucks, zudem es auch berücksichtigt, dass die Grenze zwischen ‚Inkunabel’ und Nicht-Inkunabel’ je nach Ort zeitlich verschieden verlaufen kann. Dass diese Trennung nicht immer einfach zu vollziehen ist und wie ähnlich sich Inkunabeln und Postinkunabeln in ihrem äußeren Erscheinungsbild teilweise noch sind, zeigen auch Beispiele in Müllers Katalog. So ordnete P. Morel einige Werke mit fehlendem Kolophon, die sich im Nachhinein als Postinkunabeln herausstellten, bei den Inkunabeln ein, wie z.B. eine Ausgabe des Orbis breviarium von Lilius Zacharias (Kat.-Nr. 472). Das Kolophon kann auch falsche Datierungen beinhalten, wie eine Ausgabe der Somma di aritmetica, geometria, proportioni e proportionalita von Luca Pacioli zeigt, deren Kolophon das Jahr 1494 als Entstehungszeit nennt, die einschlägige Fachliteratur das Werke jedoch auf nach 1500 datiert (Kat.-Nr. 1483). Bei manchen Werken ist der Inkunabelcharakter strittig. So datiert ein Teil der Fachliteratur eine Ausgabe von Plautus Aulularia, gedruckt von Johannes Prüss in Straßburg, auf ca. 1492, während andere das Entstehungsdatum um das Jahr 1510 oder zumindest nach 1500 ansetzten (Kat.-Nr. 1543). Obwohl es, wissenschaftlich betrachtet, sehr erfreulich ist, dass Müller seinen Katalog nicht nur auf Inkunabeln im engeren Sinn beschränkt, folgt sein Entschluss, beide getrennt voneinander zu behandeln doch wieder der modernen zeitlichen Begrenzung. So handelt es sich nicht um einen gemeinsamen Katalog der Inkunabeln und Postinkunabeln, sondern im Grunde um zwei getrennte Kataloge mit jeweils eigenen Verzeichnissen der Druckorte und Drucker bzw. Verleger. Bei der Benützung des Kataloges und für das Gesamtbild wäre ein einheitliches Verzeichnis sicherlich hilfreicher gewesen. Meiner Ansicht nach hätte auch nichts dagegen gesprochen, Inkunabeln und Postinkunabeln in einem einzigen Katalog zusammenzuführen, dadurch hätte sich ein gemeinsames Verzeichnis von selbst ergeben.
Insgesamt enthält der Katalog eine Beschreibung von 1851 Exemplaren: 782 Inkunabeln (1 – 782), 995 Postinkunabeln (783 – 1777) und 74 Drucke aus der Zeit nach 1520 (1778 – 1851). Naturgemäß fällt der letzte Teil äußerst knapp aus, da er nur Drucke berücksichtigt, die einer der zuvor beschriebenen Inkunabel oder Postinkunabel beigebunden worden sind. Diese Drucke wurden vermutlich nur der Vollständigkeit halber aufgelistet, da sie verständlicherweise keine Erkenntnisse zur Geschichte des Buchdruckes nach 1520 liefern können.
Die Exemplarbeschreibung selbst orientiert sich am Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) und am Inkunabelkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek München (BSB-Ink) . Sie enthält den Verfasser in normierter Form, den Sachtitel, Angaben über Herausgeber, Übersetzer und Kommentatoren, Druckort und Verleger/Drucker, Jahr und Format. Es folgen die Blatt- und Lagenzählung, der bibliographische Nachweis mit ISTC-Nummer, falls vorhanden, sowie eine Beschreibung der Buchausstattung und des Einbandes, die Erwähnung von Beibänden, Angaben zur Provenienz und allgemeine Anmerkungen zu den Werken. Neben der fortlaufenden Katalognummer enthält jede Exemplarbeschreibung am Ende die geltende Signatur und in Klammern die Standortnummer. Letztere vergab der Stiftsbibliothekar P. Ignaz Staub (1872 – 1947) im Zuge seiner Neuorganisation der Inkunabelsammlung.
Da es sich um eine Klosterbibliothek handelt, dominieren inhaltlich natürlich theologisch-scholastische Werke in lateinischer Sprache. Doch auch die Tatsache, dass Einsiedeln seit dem Mittelalter eine Stiftsschule unterhielt, spiegelt sich im Bestand wieder. So enthält der Bestand neben den Werken theologischer Natur auch eine beachtliche Anzahl von antiken Autoren, mit deren Lektüre man sich im Rahmen des Grammatikunterrichts während des Triviums beschäftigte. So finden sich unter den Einsiedler Frühdrucken 25 Cicero-Ausgaben, davon sechs Ausgaben der Epistulae ad familiares, sowie fünf Ausgaben von De officiis. Daneben sind auch die meisten anderen klassischen Autoren im Katalog vertreten, darunter Ovid (12), Sallust (11), Vergil (8), Valerius Maximus (7), Isokrates (6), Terenz (6), Plutarch (6), Lukian (6), Livius (5). Antike Autoren wie Lukrez, die nicht zum Kanon der Schulautoren gehörten, fehlen hingegen. Neben den Klassikerausgaben zeugen auch andere Werke von der Unterrichtstätigkeit in Einsiedeln, wie die Margarita philosophica des Gregor Reisch (Kat.-Nr. 1581), ein bedeutendes dialogisch-didaktisches Werk, vier Ausgaben der Ars minor von Donat, des grammatischen Standartwerks des Mittelalters (zwei davon leider nur mehr fragmentarisch erhalten), oder De disciplina scholarium von Pseudo-Boethius (Kat.-Nr. 167). In philosophischer Hinsicht dominiert Aristoteles mit insgesamt 17 Ausgaben, während Platon mit keiner einzigen Ausgabe vertreten ist. Hier scheint der Aristotelismus als Grundlage des scholastischen Lehrsystems und seine zentrale Bedeutung für den Logikuntericht im Rahmen der artes liberales bis ins 16. Jahrhundert hinein nachzuwirken.
Anhand der Verzeichnisse der Druckorte und Drucker/Verleger lässt sich gut rekonstruieren, wie sich das damalige Angebot an verfügbaren Werken auf dem Buchmarkt zusammensetzte. Aufgrund der geographischen Lage von Einsiedeln ist es nicht weiter verwunderlich, dass ein Großteil der Inkunabeln in Orten entlang der sogenannten Rheinschiene gedruckt wurde. So stammen 117 Ausgaben aus Basel, gefolgt von Straßburg (101), Köln (54), Speyer (18), Hagenau (12), Mainz (5). Überdurchschnittlich stark vertreten ist auch Nürnberg mit 52 Ausgaben, davon stammen allein 37 Drucke aus der Offizin von Anton Koberger, dessen buchhändlerisches Großunternehmen den ganzen deutschen Sprachraum belieferte. Von den restlichen süddeutschen Druckorten sind Augsburg mit 36 Ausgaben, Ulm mit 25 und Freiburg im Breisgau mit 14 Ausgaben vertreten. An Schweizer Druckorten sind neben Basel Burgdorf und Zürich mit jeweils 2 Ausgaben und Sursee mit einem, von insgesamt nur zwei dort entstandenen Inkunabeldrucken, vertreten. Von den ausländischen Druckorten ist Venedig mit 101 Ausgaben am stärksten vertreten, was angesichts der Vormachtsstellung, die Venedig im Buchdruck des 15. Jahrhunderts innehatte, kaum verwundert. Daneben sind in Einsiedeln Inkunabeln aus sieben weiteren italienischen Druckorten vorhanden: Rom (68), Mailand (15) Pavia (6 Drucke), Padua (2), Treviso (2), Neapel und Verona (jeweils 1). Aus Frankreich kommen insgesamt 26 Drucke, 16 aus Paris und 10 aus Lyon. Aus dem altniederländischen Raum stammen insgesamt 4 Ausgaben. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Einsiedler Katalog hinsichtlich der Provenienz seines Bestandes durch die Dominanz der süddeutschen Druckorte auf der einen Seite und Venedig auf der anderen Seite kaum überrascht. Dennoch ist der Anteil ausländischer Drucke doch relativ hoch und zeugt von einer frühen Internationalisierung des Buchhandels in diesem Raum. Da Müller auch die Postinkunabeln berücksichtigt hat, lässt sich am vorliegenden Katalog gut die weiter Entwicklung des Buchhandels, über den Zeitraum der Inkunabelgrenze hinaus, nachvollziehen. Die Rheinschiene behält ihre Bedeutung bei, es kommt jedoch zu einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen Basel und Straßburg. Straßburg ist mit über 200 Drucken führender Druckort, gefolgt von Basel mit 139 Drucken. Die anderen Orte des Rheingebiets, Köln (50), Hagenau (58), Speyer (5) und Mainz (8), verlieren allmählich an Bedeutung. Nürnberg ist nur mehr mit 9 Drucken vertreten, hier ist der Niedergang der Koberger’schen Offizin spürbar. Auch Venedig, das nur mehr mit 70 Drucken vertreten ist, verliert im 16. Jahrhundert allmählich seine Monopolstellung. Dagegen gewinnen die französischen Druckorte Lyon (83 Ausgaben) und Paris (85 Ausgaben) an Bedeutung.
Der Registerteil ist sehr ausführlich und vorbildlich gestaltet. Er enthält die Konkordanzen zu den wichtigsten bibliographischen Verzeichnissen, wobei der Verfasser auch das Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16) für die Postinkunabeln berücksichtigt. Auch die Konkordanzen zu den verschiedenen Signaturen (Signaturen bis zum 18. Jahrhundert, aktuell geltende Signaturen, Standortnummern und Katalog-Nummern) sind sehr hilfreich und geben Auskunft über die Geschichte der Inkunabelsammlung und ihre Ordnung (763 – 823). Es folgen 16 Abbildungen von hervorragender Qualität (S. 827 – 842), unter anderem ein handgemaltes Exlibris des Abtes Joachim Einhorn (Abb. 12) oder der mit Goldschmuck verzierte Prolog einer Ausgabe der Dicta et facta memorabilia von Valerius Maximus (Abb. 9).
Von größerem Interesse für die Forschung sind die neun Register am Schluss des Werkes. Ein erstes Register (S. 845) verweist auf Handschriften der Stiftsbibliothek Einsiedeln. Müller hat auf erklärende Worte im Registerteil generell verzichtet; auf den ersten Blick ist deshalb nicht ganz klar, auf was sich dieses Register genau bezieht. Zudem wurden bei der dritten Kolonne die Spalten vertauscht. Eine genauere Durchsicht zeigt, dass Müller hier z.B. Werke verzeichnet, die sich als Spiegel in Handschriften befanden, wie zwei Blätter einer Donat-Ausgabe (Kat.-Nr. 260) oder aber Teile von Handschriften, die aus den Werken herausgelöst und der Handschriftensammlung hinzugefügt wurden. Andererseits verweist Müller hier auch auf Drucke, die auch als Handschriften in Einsiedeln vorhanden sind, wie z.B. auf eine Ausgabe mit Werken von Konrad von Sachsen (Kat.-Nr. 1048), von denen sich zwei im Einsiedler Handschriftenbestand finden (Cod. Eins. 213(240) und Cod. Eins. 646(1239)). Des Weiteren verweist Müller auch auf Codizes, die in handschriftlichen Anmerkungen erwähnt werden. Das zweite Register (S. 845 – 855) verzeichnet die am Text beteiligten Personen, um auch Kommentatoren, Herausgeber oder Übersetzer recherchierbar zu machen. Das dritte Register, das Verzeichnis der Adressaten (S. 885 – 863), komplettiert das Gesamtbild noch zusätzlich, ermöglicht es doch auch, gezielt nach beispielsweise in Vorreden genannten Widmungsempfängern zu suchen. Das vierte Register listet sämtliche Drucker, Verleger und Auftraggeber alphabetisch auf (S. 864 – 871), was insofern hilfreich ist, da die relevanten Verzeichnisse im Katalogteil nach Orten sortiert sind.
Das fünfte Register enthält die sogenannten ‚Meister der Graphik und Malerei’ (S. 872), womit die graphischen Werke bekannter Künstler recherchierbar werden. Hier macht sich die Tatsache bemerkbar, dass zahlreiche Drucke in Basel entstanden sind, wo sich die Buchillustration zu einer geschätzten Kunst entwickelt hat, zu der vor allem auch Albrecht Dürer beigetragen hat. Hier muss wiederum Müllers Weitsicht, auch die Postinkunabeln in seinen Katalog aufzunehmen, lobend erwähnt werden, denn die Basler Drucke aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts wurden vor allem auch wegen der Qualität ihrer Illustrationen geschätzt. So reicht auch Albrecht Dürers Tätigkeit über das späte 15. Jahrhundert hinaus; der Einsiedler Katalog enthält mehrere Postinkunabeln, die mit seinen Holzschnitten illustriert wurden. Des Weiteren geht eine Vielzahl von Holzschnitten auf Hans Holbein den Jüngeren und seinen Bruder Ambrosius zurück. Beide zogen 1515 nach Basel und arbeiteten im Zentrum des Schweizer Buchdruckes als Illustratoren. Der bedeutendste Buchillustrator dieser Zeit war jedoch Urs Graf, was sich auch im Katalog von Einsiedeln widerspiegelt, wo er an ungefähr 80 Werken beteiligt ist. Einige Werke erweisen sich als wahre Fundgruben bezüglich des Holzschnittes in den Frühdrucken. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist insbesondere eine Ausgabe der Utopia von Thomas Morus, gedruckt 1518 von Froben in Basel, in welcher zwei Holzschnitte, die Insel Utopia und der Autor im Gespräch mit Hythlodaeus sowie die erste Titeleinfassung von Ambrosius Holbein stammen. Die zweite Titeleinfassung geht auf Hans Holbein zurück, die Zierinitialen auf Urs Graf (Kat.-Nr. 1440).
Das sechste Register enthält bemerkenswerte Einbände (S. 873 – 874), mit Verweise auf die einschlägige Fachliteratur und die Einbanddatenbank der Staatsbibliothek Berlin (EBDB). Der Umstand, dass zahlreiche der ursprünglichen spätgotischen Einbände erhalten geblieben sind, macht die Stiftsbibliothek Einsiedeln zu einer wertvollen Quelle für die relativ junge Wissenschaft der Einbandforschung. Auch für die Makulaturforschung, einem weiteren Teilbereich der Inkunabelkunde, kann der vorliegende Katalog sicher neue Erkenntnisse liefern, da bei zahlreichen Ausgaben bedruckte Blätter als Spiegel oder Vorsatzblätter verwendet worden sind.
Besonders erwähnenswert ist das achte Register, das Verzeichnis der Vorbesitzer (S. 876 – 885), durch welches sich eine Besitzgeschichte der Einsiedler Frühdrucke rekonstruieren lässt. Frühe Besitz- und Kaufvermerke geben Auskunft über Vertrieb und Handel der Frühdrucke. Auf den ersten Blick fällt bei der Durchsicht des Verzeichnisses folgendes auf: Naturgemäß befinden sich unter den privaten Vorbesitzern zahlreiche Mönche aus dem Kloster Einsiedeln und einige Privatpersonen aus dem Dorf Einsiedeln. Des Weiteren stammt einiges aus Propsteien, Pfarreien und anderen Besitzungen des Klosters, der größte Teil davon aus den Propsteien Bellinzona (Tessin) und St. Gerold (Vorarlberg). Dies ist darauf zurückzuführen, dass P. Morel im Zuge seiner Katalogisierungstätigkeit zahlreiche Inkunabeln von auswärtigen Besitzungen ins Kloster Einsiedeln zurückholte. Interessant ist, dass mehrere Vorbesitzer aus Konstanz, Baden und Lindau stammen, also aus dem Gebiet am Bodensee.
Zuletzt folgt ein allgemeines Personen-Orte-Sachen-Register (S. 886 – 892), welches sich als wahre Fundgrube für verschiedenste Themenbereiche erweist und den Katalog in seiner größten Vielfalt zeigt. So findet man Verweise auf Kuriosa, so wie z.B. auf zwei handschriftliche Rezepte, darunter ein Weinrezept (Kat.-Nr. 1140), ein Rezept für Goldwasser (Kat.-Nr. 981) und ein Rezept für Mundwasser (Kat.-Nr. 385). Weiters auf eine Papierhandschrift aus dem Jahr 1479, die als Spiegel in eine Ausgabe der Legenda Aurea von Jacobus de Voragine geklebt wurde und die Wirkung der Heilkraft des Walschbronner Bades beschreibt (Kat.-Nr. 410). Eher für Historiker interessant sind Verweise bezüglich Urkunden und Wappen, ebenso wie mehrere Buchhaltungen, unter anderem die Buchhaltung eines Geistlichen aus dem 16. Jh., welcher Einkünfte und Schuldner auf den hinteren Vorsätzen einer Ausgabe der Margarita poetica von Albrecht von Eyb verzeichnete (Kat.-Nr. 278). Hier zeigt sich wiederum Müllers Bemühen, ein möglichst vollständiges Bild der alten Drucke zu liefern und auch sämtliche handschriftliche Notizen, Vermerke oder Beigaben, ihrem Inhalt oder Zweck nach, recherchierbar zu machen. Daneben stößt man auf interessante Verweise, welche Auskünfte über das Buch in der frühen Neuzeit – seine Herstellung, seine Verwendung oder den Buchhandel – liefern können. So findet man Verweise auf ein Ausleihverzeichnis, auf Anweisungen des Rubrikators, auf skurrile Initialen oder verschiedene Druckertypen. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die zahlreichen Preisangaben, die sich in den Einsiedler Exemplaren erhalten haben. Während überlieferte Preislisten von Buchhändlern und Verlegern stets die Frage aufwerfen, ob es sich um echte Buchhandelspreise handelt, können Kaufeinträge Auskunft über tatsächlich bezahlte Preise geben. Zeitlich gesehen erstrecken sich die Angaben vom frühen 16. bis ins 20. Jahrhundert. So wurde eine Ausgabe des Breviarium Constantiense, gedruckt 1499 von Erhard Ratdolt in Augsburg, 1789 auf einer Auktion um den Preis von „1 f 20 x“ ersteigert (Kat.-Nr. 190), während eine Ausgabe von Johannes Meders Quadragesimale, gedruckt 1495 von Michael Furter in Basel, 1913 um 120 Franken erworben wurde (Kat.-Nr. 503). Besonders interessant ist der Eintrag, der sich in einer lateinischen Ausgabe der Schedel᾽schen Weltchronik, gedruckt 1493 von Anton Koberger in Nürnberg, befindet: „emi librum illum p[retio] III floren. … dedi an inligand I flor.“ Dieser Eintrag ist nicht nur deswegen erwähnenswert, da uns von den großen deutschen Druckern des 15. Jahrhunderts generell nur wenige einzelne Preisangaben erhalten geblieben sind. Bezüglich der Schedel’schen Weltchronik, das am umfangreichsten illustrierte und am häufigsten gedruckte Werk des 15. Jahrhunderts, sind Nachrichten über den Preis jedoch besonders spärlich. Der zweite Teil der Preisangabe wurde von Müller vermutlich falsch transkribiert, es dürfte wohl dedi ad inligand[um] I flor. gemeint sein, d.h. das Werk wurde, wie allgemein üblich, in losen Papierbögen gekauft und erst in einem zweiten Moment gebunden. Insgesamt kostete die Ausgabe somit vier Gulden. Zum Vergleich: die sechsbändige Bibelausgabe, die Johann Froben und Johann Petri 1498 in Basel druckten, wurde, vermutlich von Ludwig Lavater (1527 – 1586), zum Preis von neun Gulden erworben (Kat.-Nr. 141). Für einen anderen Koberger-Druck, einer Ausgabe der Legenda aurea aus dem Jahr 1496 (Kat.-Nr. 414), bezahlte man zwei Gulden (costat duos florenos), der Preis bezieht sich jedoch wieder auf das ungebundene Exemplar (absque illigatione).
Zusammenfassend kann man sagen, dass Müller mit dem vorliegenden Katalog ein aufschlussreiches und interessantes Werk geschaffen hat, in welchem sich die einzelnen Exemplarbeschreibungen, vor allem auch durch die ausführlichen Register, zu einem harmonischen Gesamtbild fügen. Auch wenn Inkunabeln und Postinkunabeln natürlich nur einen kleinen Teil des Gesamtbestandes der Bibliothek ausmachen, stehen sie doch exemplarisch für das Wesen, für die innere Struktur der Einsiedler Stiftsbibliothek und können Auskunft geben über die Geschichte der Bibliothek und des Bestandes.