EHB Tagung

„Kataloge und Editionen“. Tagung des Südtiroler Projekts „Erschließung Historischer Bibliotheken“ [EHB]
[Kloster Marienberg, 14.9.2012]

von Josef Pauser
Bibliothek des Verfassungsgerichtshofes
E-Mail: josef.pauser@univie.ac.at

in: Mitteilungen der VÖB, 66.2013, Nr. 2, S. 319-323

VÖB

Am Freitag, dem 14. September 2012, einem wunderschönen spätsommerlichen Sonnentag, fand in der Benediktinerabtei Marienberg eine Tagung des Projekts „Erschließung Historischer Bibliotheken“ statt. Das im 12. Jahrhundert begründete Kloster liegt weithin sichtbar auf etwa 1350 m Höhe an einen Berghang geschmiegt oberhalb von Burgeis im oberen Vinschgau und beherrscht majestätisch das unter sich ausbreitende Tal. Es beherbergt eine Bibliothek, die 1927 in der Zeitschrift „Der Schlern“ folgendermaßen beschrieben wurde: „Die Bibliothek, in mehrere Räume verteilt, nach verwandten Gruppen, eine schier betäubende Anhäufung würdiger, entlegener, verschollener Folianten, ein reichstes Aufgebot seltensteter Sammelwerke, eine schwere Versuchung für jeden Bibliophilen, eine Verführung, hier sich einzunisten für Wochen  und Wochen, für eine über Winter und Frühling hinaus gedehnte Lesefrist. Alte wuchtige Schatten steigen: Beda Weber, Pius Zingerle, Ex libris, Zeitschriften, Raritäten an Heiligenbildlein, an vergilbten Druckwerk aller Art erheischte Stunden, Tage. Welche Schätze wären aus diesen Truhen noch zu heben!“
Die Schätze der Südtiroler Klosterbibliotheken hebt nun tatsächlich ein bewunderungswürdiges Erschließungsprojekt – „Erschließung der historischen Bibliotheken [EHB] und Buchbestände Südtirols“ – welches von der Stiftung Südtiroler Sparkasse finanziert und von Pater Dr. Bruno Klammer geleitet wird. Das Projekt will die historischen Buchbestände Südtiroler Klöster, Pfarren, Adelssitzen usw. in einem OPAC erschließen und damit der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung stellen. Seit 1997 wurden von Mals bis Innichen, von Neumarkt bis Sterzing zahlreiche Bibliotheken mit einem Bestand von 46 [Burg Taufers] bis 96.000 Werken [Augustiner Chorherren Neustift] katalogisiert und diese Daten mittels eines Verbundkatalogs online gestellt: http://pro.unibz.it/opacuni/?DB=EHB.

Momentan finden sich darin etwa 620.000 Werke aus über 30 historischen Bibliotheken verzeichnet. Seit 2011 wird auch an der Katalogisierung der Marienberger Bestände gearbeitet. Dies war auch der unmittelbare Anlass, die Tagung an diesem malerischen Ort stattfinden zu lassen.
Nach der Begrüßung durch den EHB-Projektleiter Pater Dr. Bruno Klammer folgte eine Präsentation des EHB-Projektes durch einige jener Mitarbeiter von Bibliogamma – einer sozialen Genossenschaft italienischen Rechts, die seit 2002 das EHB betreibt – welche die Marienberger Bibliothek bearbeiten [Mag. Dr. Dr. Rainhard Domanegg, Dr. Walter Garber, Dr. Gabriele Muscolino, Dr. Benjamin Santer]. Momentan wird neben Marienberg noch an den Bibliotheken des Deutschen Ordens/Lana, des Vizentinums in Brixen, der Eucharistiner in Bozen und des Dekanats Val Badia katalogisiert.
0,12 % des bisher erschlossenen Bestandes sind Inkunabeln, etwa 16 % Tirolensien. Letztere definieren sich dahingehend, dass sie thematisch den Tiroler Raum betreffen, in Tirol gedruckt oder verlegt worden sind oder der Verfasser aus Tirol stammte oder dort wirkte. Die Tirolensien erhalten auch eine vertiefte Erschließung. Katalogisiert wird nach RAK-WB bzw. nach RAK-Alte Drucke.

Dr. Hanspeter Marti [Leiter der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen, Schweiz] stellte daraufhin das „Handbuch der historischen Buchbestände der Schweiz“4 vor, an dem er entscheidend mitgearbeitet hatte. Zu „Altbestand und Rolle des Altbestands am Ferdinandeum Innsbruck“ sprach dann Mag. Roland Sila [Kustos der Bibliothek des Ferdinandeums Innsbruck]. Das Ferdinandeum beherbergt in seiner Bibliothek etwa 280.000 Bände und diverse Sonderbestände. Sila berichtete von der Entstehung der Bibliothek, den alten Katalogen und von modernen Digitalisierungsprojekten.
Als Tirolensien-Sammelgebiet stellt man territorial auf den Umfang Tirols, wie es 1823 bestand, ab. In diesem Jahr wurde nämlich das Ferdinandeum bzw. der Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum gegründet.
Den Vormittag beschloss Dr. Manfred Massani [Provinzbibliothekar der Österreichischen Kapuzinerprovinz, Innsbruck] mit einem Vortrag zu „Altbestand und Altbestandsnetz der Kapuzinerprovinz Tirol“. Er berichtete von einer Zusammenarbeit mit dem EHB-Projekt seit 2002.
Nach der Mittagspause berichtete der Hausherr Abt Pater Markus Spanier, der von Pater Dr. Ulrich Faust unterstützt wurde, über „Die historischen Buchbestände in Marienberg“. Er hatte zahlreiches Anschauungsmaterial mitgebracht. Die Tagung beschloss der Südtiroler Landeskonservator Dr. Leo Andergassen mit einem reich bebilderten Vortrag über „Die Kunst in den Titelblättern von Druckwerken“.

Nach den Vorträgen bestand noch die Möglichkeit einer Führung durch die Abtei und konnte dabei insbesondere in die – in der Klausur gelegenen – Bibliotheksräumlichkeiten gelangen. Die Bibliothek enthält unter anderem den literarischen Nachlass der bekannten Benediktiner Beda Weber [1798–1858, Dichter und Abgeordneter zur Frankfurter Paulskirche 1848], Pius Zingerle [1801–1881, Orientalist] sowie Albert Jäger [1801–1891, Historiker, Direktor des Institutes für österreichische Geschichtsforschung in Wien]. Abt Markus berichtete dabei auch von einem Bauprojekt, bei dem die Bibliotheksräumlichkeiten mit Leseplätzen an neuer Stelle errichtet werden sollten.
Das EHB-Projekt ist – man kann sich leicht auf der Website des Projekts von der gigantischen Dimension überzeugen – ein ganz bedeutsames kulturelles Unterfangen, welches in Europa beispiellos ist. Man kann den Projektmitarbeitern nur zu ihrer großartigen Leistung gratulieren. Blickt man auf den Erschließungsstand der österreichischen Klosterbibliotheken, dann keimt jedenfalls sofort der Wunsch auf, dass dieses EHB-Vorbild weit über Südtirol hinausgehende Wirkungen zeitigen und Nachahmer finden sollte.