Raubdrucker aus Wien

Johann Thomas Edler von Trattner. Magnat und Raubdrucker aus Wien
Walter Garber

Aus: Kulturelemente. Zeitschrift für aktuelle Fragen, Nr. 17 (Okt. 1999), S. 14-15

Das Internet und die neuen Medien haben die Diskussion um das Urheberrecht wieder aktuell gemacht. Die unautorisierte Verbreitung von Informationen ist heute ein großes Problem. Schon im 18. Jahrhundert gab es heftige Debatten darüber. Damals war es der Nachdruck von Büchern, der in ganz Europa betrieben wurde, und der den Unmut von Autoren und Verlegern hervorrief. Das Verständnis, dass intellektuelle Leistungen das geistige Eigentum des Autors sind, setzte sich erst allmählich durch. Vielfach herrschte die Meinung vor, die Autoren sollten froh sein, überhaupt gedruckt zu werden.
1775 verbot Maria Theresia den Nachdruck einheimischer Werke, ausländische Werke konnten weiterhin ungehindert nachgedruckt werden. Zum Ausland wurden alle nicht habsburgischen Lande gezählt. Die Kaiserin war bestrebt, das seit der Gegenreformation heruntergekommene österreichische Schriftwesen wieder zu beleben. Deshalb förderte sie den Nachdruck fremder Werke, während heimische Autoren und Verleger davor geschützt wurden.

Labore et favore
Diese Politik begünstigte den kometenhaften Aufstieg des Buchdruckers und -händlers Johann Thomas Trattner. Aus Ungarn stammend, hatte er 1748 mit geliehenem Geld eine desolate Offizin in Wien erworben. Seine guten Verbindungen zu den Jesuiten verschafften ihm die ersten Aufträge und bald wurde Trattner Wiener Universitäts- und Hofbuchdrucker. 1764 in den Adelsstand erhoben, begünstigte die Kaiserin Trattner auf vielfache Weise. Er wurde mit Druckaufträgen und direkten Geldmitteln des Hofes unterstützt. Nach und nach konnte er sich die Privilegien auf sämtliche Schul- und Universitätsschriften in Österreich, auf Religionsbücher und Lexika sichern. Er lieferte alle Drucksorten und Verordnungen der k. k. Verwaltung, hatte die Privilegien auf zahlreiche Kalender und auf den Letternguss in Österreich. Am Höhepunkt seines Unternehmens unterhielt Trattner mehrere Buchhandlungen und den sogenannten „Typographischen Palast“ mit über hundert Beschäftigten in Wien, sowie ein Netz von Zweigniederlassungen in allen habsburgischen Ländern. Druckereifilialen betrieb er in Agram, Brünn, Linz, Graz, Innsbruck, Pest, Prag und Triest, dazu kamen achtzehn eigene Buchhandlungen zwischen Frankfurt und Hermannstadt, Lemberg und Panczowa. In ihnen verkaufte er nicht nur die eigenen Produkte, sondern auch die wichtigsten Neuerscheinungen anderer Verlage. Wegen der hohen Stückzahlen, die er bestellte, forderte er besonders niedrige Preise. Wenn darauf nicht eingegangen wurde, so soll Trattner des Öfteren mit dem unautorisierten Nachdruck des betreffenden Werks gedroht haben.
Ab 1771 betrieb Trattner eine Leihbücherei in Wien, später eröffnete er solche auch in Pest und Preßburg. In dem sogenannten Lekturkabinett konnten gegen Bezahlung Zeitungen, Zeitschriften und in- und ausländische Bücher gelesen oder ausgeliehen werden. Es lagen die verschiedensten Wörterbücher, die wichtigsten Werke der Wissenschaft und Literatur, sowie aktuelle Ausgaben der Periodika auf. Trattner besaß mehrere Papierfabriken und das prächtigste Privatgebäude Wiens. Mozart, der 1784 im Trattnerhof in Miete stand, gab dort Konzerte und unterrichtete Trattners Gemahlin am Klavier. Ihr widmete er auch ein Musikstück.
In den Städten, in denen Trattner keine eigene Buchhandlung hatte, vertrieb er seine Bücher durch Kommissionäre. Für die Stadt Bozen scheint auf den Listen Karl Joseph Weiss auf. Im Ausland hatte Trattner wegen seiner zahlreichen Nachdrucke einen schlechten Ruf, im Verhältnis machten diese jedoch nur einen geringen Teil seiner Produktion aus. Die Nachdrucke waren billiger als die Originalauflagen und oft von etwas minderer Druckqualität.
Trattner verschickte mehrmals im Jahr an Buchhandlungen in ganz Europa Verlagskataloge, in denen die Bücher nach Sprache und Fachgebiet, sowie versehen mit dem Preis, aufgelistet waren. In Trattners Buchläden konnte man Drucke aus seinen eigenen und von anderen Druckereien erwerben. Aus den Katalogen geht hervor, dass Bücher in den wichtigsten Sprachen Iieferbar waren. Neben Werken auf Deutsch und in den klassischen Sprachen waren französische, italienische, hebräische, englische, russische, ungarische, tschechische und kroatische Bücher erhältlich. Auch handelte Trattner mit den verschiedensten Drucktypen. Das Großunternehmen umfasste alle Teile des Druck- und Verlagswesens: von der Papierherstellung, über Schriftgießereien, Kupferstechereien und Druckereien bis zum Verkauf in den weitverstreuten eigenen oder Kommissions-Buchhandlungen.
Trattners Druckermarke zierte das Motto labore et favore, durch Arbeit und Gunst. Ein Hinweis auf seine Geschäftstüchtigkeit sowie auf die kaiserliche Protektion, die dem Unternehmen in vielfacher Weise zugute kam. Ausgestattet mit großzügigen Privilegien und Sonderrechten, konnte Trattner ein Medienimperium aufbauen. Die strenge Führung des Patriachen, die effiziente Filialstruktur, eigene Zulieferwirtschaft, agressive Übernahmepolitik und ständige Werbung sind weitere Gründe für den Erfolg. Trattner soll den Ehrgeiz gehabt haben, das „schönste Haus, die schönste Frau und die größte Buchhandlung in Europa“ zu besitzen. Zeitgenossen zufolge soll er diese Ziele auch erreicht haben.

Das Engagement in Innsbruck
Begünstigt von den Nachfolgeschwierigkeiten in Wagners Druckerei hatte Trattner 1766 die Erlaubnis erhalten, eine Filiale in Innsbruck zu eröffnen. Aus dieser Offizin kamen Regierungsschriften, Schulbücher, wissenschaftliche Arbeiten, Werke der didaktischen Poesie sowie einige Zeitschriften. Seit dem Regierungsantritt Josephs II. wurde Trattners Position aber mehr und mehr geschwächt. Die Länderstellen sollten von nun an mit denjenigen Buchdruckern Verträge abschließen, die die „besten Conditiones“ anboten. Dadurch verlor Trattner auch in Innsbruck seine Privilegien und musste sich von nun an ohne Sonderrechte der Konkurrenz stellen. Ab 1782 wurden die Druckaufträge der öffentlichen Verwaltung zwischen den zwei großen Innsbrucker Druckern aufgeteilt: Trattner übernahm die anfallenden Arbeiten der Kreise Imst und Hall und die Hälfte Innsbrucks, während Wagner für die andere Hälfte sowie den Kreis Schwaz zuständig war. Die Verordnung war auf fünf Jahre befristet, wurde danach aber stillschweigend weitergeführt. Die Übereinkunft war Trattner ein Dorn im Auge. Deshalb informierte er 1794 die Verwaltung über die abgelaufene Frist und schlug gleichzeitig vor, alle Arbeiten mit einem dreißigprozentigen Rabatt für drei Jahre zu übernehmen. Wagner sollte dann sämtliche Aufträge der nächsten drei Jahre bekommen. Doch Wagner ließ die Regierung wissen, dass Trattner seine Preise vorher massiv angehoben hatte, um mit dem großzügigen Rabatt zu glänzen. Auch konnte er sie davon überzeugen, dass Trattner darauf aus war, seinen Konkurrenten zu ruinieren. Trattner konnte leerstehende Pressen mit Aufträgen von anderen Filialen versorgen, während die Wagner’sche Druckerei ein mehrjähriges Ausbleiben öffentlicher Aufträge nicht überlebt hätte. Der Hof verlängerte daraufhin den bestehenden Aufteilungsmodus.

Ende und Neubewertung
Nachdem Trattners raffinierter Schachzug fehlgeschlagen war, verlor er das Interesse am Druckort Innsbruck und zog sich 1796 ganz aus Tirol zurück. Die Nachdruckperiode in Österreich war endgültig vorbei, auch der Verlust der Privilegien hatte dem Verlag stark zugesetzt. Zwei Jahre vor der Jahrhundertwende starb Johann Thomas Trattner in Wien. Das Unternehmen ging auf den Enkel gleichen Namens über und wurde 1805 von Georg Ueberreuter aufgekauft.
Lange stand Trattners Name nur für den berüchtigtsten Nachdrucker Europas. Erst spät wurde seinen Leistungen auch Anerkennung zuteil. Die massive Verbreitung der Aufklärungsliteratur ist in Österreich erst durch die erschwinglichen Nachdrucke möglich geworden. Trattner förderte dadurch, auch mit den Leihbibliotheken, die allgemeine Leselust und trug zur kulturellen Entwicklung bei.

Literatur:
Cloeter, Hermine: Johann Thomas Trattner. Ein Großunternehmer im Theresianischen Wien-Graz [u.a.], Böhlau, 1952.
Giese, Ursula: Die Innsbrucker Filiale des Edlen von Trattner. Ein Beitrag zur Geschichte des Buchdrucks und des Schrifttums in Tirol. In: Tiroler Heimat 25 (1961) S. 55 – 99.
Seemann, Otmar: Trattner-Bibliographie. Noch unveröffentl. Wien: 1998.