EHB – Ein Pilotprojekt

Erschließung Historischer Bibliotheken in Südtirol – Ein Pilotprojekt
[Projektstand November 2009]
Bruno Klammer

Aus: Proceedings of the 14th International Congress „Cultural Heritage and New Technologies“ held in Vienna, Austria November 2009
ISBN 978-3-200-02112-9


ABSTRACT

Jede Renaissance hat mit dem Rückgriff auf Vorwerke und Quellen begonnen. Man kann Kultur fortführen, umgestalten, aber nicht neu erfinden. Sie ist ein Dialog zwischen Altem und Neuem. Erreichtem und neuen Möglichkeiten.
Das Erfassungsprojekt „Historische Bibliotheken und Buchbestände in Südtirol“ [EHB] betreibt den Zu- und Umgang mit dem Kulturgut „historisches Buch“ auf mehreren Ebenen. Es legt einen digitalen Bestandskatalog an, erschließt die Bestände forschungsmäßig und bildet ein breites Bewusstsein dafür heran, dass in dieser DNA der Landeskultur unzählige Forschungsmöglichkeiten und Forschungsaufträge stecken. In seinem Kulturfortgang wechselt der Mensch das Kleid. Der Mensch darunter bleibt der Mensch mit seinen ewigen Suchwerten nach den Gründen, Zusammenhängen, seinem Wozu und Wonach. In dreizehnjähriger Tätigkeit [ab 1997] sind inzwischen rund eine halbe Million Fachkatalogisate erstellt worden. Die Erschließung wird von einer Sozialgenossenschaft Bibliogamma ONLUS durchgefhrt. In ihr arbeiten nur Kräfte mit Hochschulabschlssen in unterschiedlichen für die Erschließung belanghaften Bereichen. Wesentliche Forschungsansätze schlagen sich nieder in einer Erschließungsserie und in einer EHB-Themenliste für eine erweiterte Forschung.
Ein grundsätzliches Ziel der mentalitätsgeschichtlichen Erschließung ist, die Kirche als wichtigsten Bestandsträger in den Kulturdialog lokal und überregional neu einzubeziehen. Und so die Gräben zwischen „profaner“ [weltlicher] und „kirchlicher“ [sakraler] Kultur zu schließen. Dies könnte bedeuten, in die freie Forschung einerseits und in die kirchliche Ausbildung anderseits neue, offenere und aktuelle Schwerpunkte einzuführen.


STICHWORTVERZEICHNIS

Bestandslage – Bestandsträgerschaften – Fördervoraussetzungen [gesetzliche Maßnahmen, Sponsoren] – Erschließungsteam – Mentalitätsgeschichtliche Forschungsaspekte – Projektinitiativen – Bewusstseinsbildung in Trägerschaften, Öffentlichkeit und für die Forschung


TEXT

Historische Bibliotheken – die kollektiven Speicher des Wissens und des Bewusstseins
Die historischen Buchbestände eines Landes sind die kollektiven Speicher des Wissens, des Bewusstseins und der Identität. Auf Gottfried von Saint-Barbe-en-Auge geht das Wort zurck: Claustrum sine armario, Ein Kloster ohne Bücherschrank, quasi castrum sine armatorio, ist wie eine Militärstation ohne Waffen [1].
Vom Untergang der Historie zu reden, ist so töricht, wie vom Untergang der Gene zu sprechen. Es gibt diese Untergänge nicht. Man kann den Kulturbaum nicht in seiner Mitte absagen und die ewigen Fragehorizonte der Geschichte nicht durchbrechen oder gar unterbinden. Bibliotheken sind die überdimensionale Dokumentation unseres Werdens. Jedes Buch ist eine Urkunde hoch vier.

Einige Missverständnisse
Der Zugang zum historischen Buchgut ist noch immer von Missverständnissen und Vorurteilen geprägt. Den Bestandsträgern selbst fällt der Zugang bisweilen schwer. Eines der Vorurteile lautet: Alles Wissen ist längst in neueren Werken aufgearbeitet und verfügbar gemacht. Die Sammlungen sind daher zu kostenintensiven Musealien geworden. Ein anderes, pseudopopuläres Vorurteil lautet: Profanes Wissen und Schriftgut interessieren, kirchliches Buchgut ist dagegen von geringerem Wert. Der Forschung selbst entgeht dabei zumeist, dass 90% in den Regalbeschriftungen und den Signatursystemen nach zwar als theologisch angeschriebenes Buchgut erscheint, die Signaturzuweisungen aber vor allem Aspekte bedeuten, unter die in den mönchischen und kirchlichen Trägerschaften und Skriptorien Gegenstände, Motive, Zusammenhänge und Bereiche gestellt worden sind. Die Gegenstände und die Bereiche selbst sind so profan, wie alle Wirklichkeit eben sachprofan bleibt, auch wenn sie religiös oder anderswertig gedeutet wird. Ein Signaturbestand „Predigt“ [Sermones, Homiliae], „Kirchenrecht“ oder „Moral“ [Ethik] schreibt nicht in einen luftleeren Raum hinein und stellt nicht Regeln und Vorschriften für die Einwohner des Himmels auf. Sondern wendet sich an die realgegebenen Verhältnisse derer, die angesprochen werden. Im islamischen Kulturbereich islamisch, im christlichen unter christlichen Sichtweisen und Schwerpunktsetzungen. So reicht der Bogen der Bestandsinhalte von der Hebamme und der Geburtenmedizin bis in die Jenseitsgründe des Kosmos. Von der Pflugschar bis zur Krönungsgeschichte des Herrschers. Von der Scholle bis zur theologischen Interpretation der Sachzusammenhänge und der „supranaturalen“ Aspekte der Kultur.

Kulturgeschichte ist mentalitätsbegründende Geschichte
Als in den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg der südliche Teil Tirols Italien zugeschlagen wurde, ging der aufkommende Faschismus umgehend daran, den bisherigen Kulturzusammenhang, die bisherige sprachliche und mentalitätsgeschichtliche Prägung des Landes zu löschen. Dies bedeutete auch, den empfindlichsten Kulturbesitz, das Bibliothekserbe, aus dem Gebrauch und dem Bewusstsein zu verdrängen. Dabei ging viel Wertvolles für das Land „verloren“.
Erst 1997, nach alarmierenden Nachrichten von weiteren Verlusten, gingen die Diözese Bozen-Brixen und die Stiftung Südtiroler Sparkasse in einem Abkommen daran, das Erbe vor weiteren Abflüssen zu bewahren und der Öffentlichkeit wieder verfügbar zu machen. Mit dem Projektaufbau und dessen Durchführung wurde Dr. P. Bruno Klammer beauftragt [2].

Ein Rückruf mit Vorbildcharakter
In Südtirol liegen größere Bestandssammlungen in diözesaner Trägerschaft [Diözesaneinrichtungen, Pfarrnetz], in den Netzwerken der religiösen Gemeinschaften [Klöster, Niederlassungen, Abteien], aber auch Bestände im öffentlichen und in privatem Eigentum [Museen, Gemeinden, Sammler, Adel, Antiquare]. Drei Jahre nach dem EHB-Erschließungsbeginn, sind die Bestände ins Wert- und Kulturbewusstsein wieder soweit zurckgeholt, dass es zwischen der italienischen Bischofskonferenz [CEI] und der italienischen Regierung zu einer Vereinbarung [Intesa] kommt, das gesamte kirchliche Bucherbe in Italien aufzuarbeiten und im gemeinsamen kirchlichen und nationalen Interesse zu erhalten [3].

Die Zielvorgaben des EHB-Projekts für Südtirol
Vor dem Aufgreifen der Thematik in der „Intesa“ hatte das EHB-Projekt bereits die wichtigsten Ziele vorformuliert:
-Bestandsdigitalisierung [EHB-Katalog]
-Bestandserhaltung und Bestandsordnung
-Erschließungs-und Bestandsdokumentation [EHB-Serie, ab 2006]
-Impulsgebung für Öffentlichkeit und Forschung [Website, Projektvorstellungen, Beiträge in Presse und Fachorganen, Depliants zum laufenden Projektstand, Projektmemoranden].
Die EHB-Grundanliegen finden sich auf ähnliche Weise später in der „Intesa“ vom 16. Mai 2000 und in deren Folgeerlässen wieder.

Die mentalitätsgeschichtlichen und kulturhistorischen Schwerpunktsetzungen von EHB
Historisches Buchgut ist nicht so einfach zu lesen wie ein religiöses oder profanes Bauwerk, wie eine Plastik oder ein Gemälde. Ein Buch ist ein komplexes Sach-und Bewusstseinslexikon. Das historische Bucherbe zeichnet die komplexen Verhältnisse einer Entwicklungsgeschichte nach und stellt gewissermaßen die Kultur-und Mentalitäts-DNA eines Landes dar. Unter der „ungeliebten“ und etwas verächtlich abgetanen Bestandssignatur „Predigt“ [Sermones, Homiliae] z.B. verbergen sich die Kultur-und Verhaltensbilder eines Landes weit authentischer als in vielen anderen Darstellungsformen. Eines der großen Kulturdesiderate bleibt für die Zukunft, die Gattung „Predigt“ linguistisch, sach-und gegenstandsbezüglich, motivgeschichtlich, sozialrelevant und epochentypisch in die Literatur und Literaturgeschichte als eigene und ganz wesentliche Gattung neu einzubringen. Sie stellt gewissermaßen sogar den breitesten literarischen Überlieferungsstrom dar. EHB will dafür und für alle anderen Forschungsbereiche Grundlagen legen, indem es von Anfang an auf mentalitätsgeschichtliche Werte, Impulse und Schwerpunkte ausgerichtet ist.
Als sekundäre Projektimpulse ergeben sich Neuerungen in den Trägerschaften selbst: Bewusstseinsbildung, die Errichtung neuer Infrastrukturen, die Magnetwirkung erschlossener Bestände für zahlreiche Folgelegate und Nachlässe an Bestandsträger.

Konkrete Forschungsimpulse
Die Erschließung wird von zahlreichen Forschungsimpulsen begleitet: EHB-Serie; Projektwebsite mit Anregungen, Mitteilungen, Diskussionsbeiträgen; Öffentlichkeitsveranstaltungen; die Erarbeitung von Forschungsthemen für Diplomstudenten, Historiker, Landeskundler, Religionswissenschaftler, Kulturgeschichtler; Projektbeiträge in Publikationen und Medien; Übersetzungsarbeit u.a. Näheres dazu findet sich im Netz unter www.ehb.it.

Die Projektressourcen
Die bisherigen Projektressourcen wurden verfügbar gemacht in einem Förderabkommen mit der Stiftung Südtiroler Sparkasse 1997. Im Verlaufe der Erschließung konnte der Mitarbeiterstab 2006 auf neun Projektbefasste aufgestockt werden. Ob die Finanzkrise 2008-20010 Spuren in der Förderung hinterlassen wird, muss sich erst zeigen.
Was die Erschließungsanträge betrifft, gibt es laufend neue und gewichtige Anfragen, z. B. für Großbestände wie die Abtei Marienberg, das Vinzentinum in Brixen und diverse Klosterbestände, Anfragen im Bereich der Frauenbibliotheken [weibliche Ordensgemeinschaften] und im Rahmen der Dekanats-und Pfarrnetze. Hinzukommt das wachsende Interesse von privaten Bestandsträgern.

Einige Sonderfragen
I. Die Dublettenfrage
Mit der mentalitätsgeschichtlichen Ausrichtung des Projekts ist die Dublettenfrage ganz wesentlich verknüpft. Die meisten Erfassungsprojekte schließen Dubletten als „lästigen Ballast“ aus der weiteren Erfassung aus. Mentalitätsgeschichtlich bedeutet das einen groben Forschungsverlust. Dubletten können Raubdrucke sein, unerkannte veränderte Nachdrucke [Kürzungen, Erweiterungen, Auslassungen, Neufassung von Teilen]. Sie enthalten öfters Kommentare, Randbemerkungen, Widmungsangaben und andere wesentliche Aussagewerte über Bestandsflüsse, vor allem über Bestandsdichte und die damit verbundenen Bestandsrollen in geografischen Räumen, in Lehrplänen, über zeitliche Geltungs-und Benutzerräume [regionale, diözesane, überregionale Zuordnungen und Anbindungen] [4]. Dazu kommen handschriftliche und gedruckte Exlibris als Wegweiser durch die Bestände. Manchmal weisen sie aussagetypische Signaturenverschiebungen auf, die einen Wandel in den Hintergrundauffassungen dokumentieren.

II. Das Verhältnis von Sakral und Profan
Über 85% des Kulturgutes „historisches Buch“ befinden sich in Südtirol in kirchlicher Tärgerschaft oder sind mit dieser verbunden. Den Signaturen nach sind diese Bestände überwiegend theologischen und philosophischen Bereichsangaben zugeordnet. Nähere Untersuchungen ergeben aber, dass kirchliche, religiöse, theologische Signaturangaben primär Aspektindikatoren bedeuten. Profane, zivile, naturgeschichtliche, historische, sozialgeschichtliche, rechtliche und alle möglichen Datenlagen werden entweder einer religiösen Sichtweise unterworfen oder von einer solchen her gesichtet und bearbeitet [z.B. in der Predigtpastoral, in der Beichterziehung, in der sittlich-ethischen oder in den rechtlichen Geltungen, im gesellschaftlichen Brauchtum, in rituellen und lehrmäßigen Ausdeutungen]. Häufig werden die „profaneren“ Bereiche Kumulativsignaturen zugeordnet [z.B. Varia, Historia profana, Jus civile, Philosophie, Historia naturalis, Medizin, Lexika und Enzyklopädien, Literatur u. a.] [5].

Bibliogamma – eine effiziente Erschließungsgenossenschaft
Um das Projekt von aufwändigen Verwaltungsdurchgängen, langwierigen Beschlusswegen etc. frei zu halten, wurde nach 2001 eine eigene Genossenschaft [Bibliogamma Onlus] gegründet. Die Genossenschaftsträger, alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Genossenschaft sind voll ausgebildete Akademiker in den unterschiedlichsten Bereichen [Philosophie, Theologie, Germanistik, Altphilologie, Linguistik, Geschichte, Bibliothekswissenschaft, Medienkunde etc.]. Dies erleichtert und verkürzt die spezifischen Ausbildungszeiten im Projekt und befähigt die Mitarbeiterstaff, eigenständig Forschungsansetzungen zu betreiben [6].

Die mentalitätsgeschichtliche Ausrichtung an Fallbeispielen
Fallbeispiel Wirken des Kapuzinerordens
Um 1716 besitzt die Tirolische Kapuzinerprovinz 185 hauptamtliche Prediger und 28 hauptamtliche Beichtväter [1701: 39 Beichtväter]. Der Kapuzinerorden hat beinahe alle wichtigen Kanzeln im Lande inne [7]. Praktisch berziehen Predigt und Beichttätigkeit, Aushilfskatechese, Sondereinsätze zu allen möglichen Gelegenheiten und Zeiten das gesamte Pfarrnetz, und zahlreiche Einflüsse wandern in die Prägung des Landes ein [8]. Auch war der Anteil der adligen und gebildeten Mitglieder des Ordens sehr hoch und weist der Autorenkatalog von P. Neuner, im Widerspruch zur vielfachen Darstellung des Ordens, eine rege literarische und kulturelle Tätigkeit aus [9].

Fallbeispiel Unterrichtsprägung
Noch heute wirken in hundert Anschlüssen die jesuitischen Erziehungs-und Bildungskonzepte in unseren Schulsystemen nach: z.B. die Erfassung der Schüler in [leistungs-und aufstiegsdurchlässigen] Klassenverbänden; der Einbezug der Natur-und Geisteswissenschaften in die Programme [Aufbau naturwissenschaftlicher, physikalischer, kunsthistorischer Kabinette, die Anlage von Münzsammlungen]; die Verfügbarkeit großer Bibliotheksbestände; die Stoffdarstellung im Unterricht, dessen Nacharbeit durch den Schüler, die mündliche und schriftliche Abprüfung des Stoffverständnisses; die Beschäftigung mit den antiken Sprachen und Autoren u.v.a. Dazu kommen die Errichtung von Auffhrungsräumen und die Beschäftigung mit Musik.

Fallbeispiel Forschungskorrektur
Die Beschäftigung mit den historischen Buchquellen ergibt in vielerlei Hinsicht eine veränderte Sicht und Gewichtung im Verhältnis zu dem, was traditionsläufig als Themendarstellung und Aussage zur Verfügung ist. Werke, die in den Beständen eine bedeutende Rolle spielen, sind in der Forschung nicht oder nicht entsprechend erfasst [10]. So erhält etwa Werner Rolevinck [1425-1502] im Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 8 [1963] ganze neun Zeilen Biographie und Wertung. Das Kleingedruckte zu den Werken dazu ist so knapp als möglich gehalten [11]. Obwohl Rolevinck in den Südtiroler Inkunabelbeständen z.B. überraschend gut vertreten ist und von ihm ein ganz entscheidender Schritt in Richtung Reformbewusstsein und Reformnotwendigkeit getan wird, wie er nach ihm mit Martin Luther dann letztlich auch vollzogen wird [12]. Ähnliches gilt von Gabriel Biel und anderen. Während Rolevinck in den Inkunabelbeständen eine größere und einflussreiche Dichte ausweist, spielt Nikolaus von Kues in den Forschungen eine überragende Rolle, ist in den bisher von EHB erschlossenen und eingesehenen Beständen, also auch im Pfarrnetz, vor 1500 nicht vertreten. Trotzdem die Diözese Brixen sein diözesanes Eigenterritorium war.

Fallbeispiel Konzil von Trient
In der Forschung gilt das Konzil von Trient [1545-1563] weithin als „deutsches“ Konzil. Abgesehen davon, dass sowohl zu Beginn als auch beim Abschluss jeweils nur ein einziger deutscher Bischof vertreten war, weist die Bestandslage zur Konzilsliteratur primär Autoren nicht-deutscher Herkunft aus. Von den Konzilsteilnehmern und den repräsentativen Autoren her, war es sogar zum überwiegenden Teil ein Konzil der Ordensvertreter. Und waren die Leitbilder der katholischen Kirche in nachkonziliärer Zeit im Wesentlichen ordensgeprägte und mönchische Vorstellungen und Umgestaltungsweisen [Volksfrömmigkeit, Askese, Andacht, Brauchtum und Kirchenjahr, Zunahme der Ordensheiligen und Heiligenverehrung, Sakramentenpastoral, theologische Positionen, z.B. in der Sichtweise und Rolle Marias und der Heiligen, Passionsandacht, Gebetsverpflichtungen, Ordensgemeinschaften nachbildende Vereinigungen und Bruderschaften, mit Regel und Stundengebet] [13]. Hingegen war es ein „deutsches“ Konzil vom Willen des Kaisers, von der Frage der Reformation und von der Menge der auf den Index der verbotenen Bücher gesetzten deutschen Autoren her.

Fallbeispiel Freiheitskriege und Andreas Hofer
Der Bestandslage nach gehen viele „historische“ Anschauungen auf heroisierende, romantisierende Darstellungsmuster, aber auch auf „libertine“ Gegenzeichnungen des 19. Jh. zurück. So auch die Geschichte der Mythisierung von Freiheitskämpfen und Andreas Hofer im Abwehrkampf gegen Napoleon und dessen Verbündete. In antijüdischer Zeichnung ziehen sich die Darstellungen bis in die Faschismusära herauf durch [13, 14]. Und brechen auch in der Dreyfus-Affäre Ende des 19. Jh. in Frankreich in derselben Weise durch. Elemente der antijüdischen Darstellungsweise werden nach 1920 offen oder anspielungsweise auf den „Degasperi-Gruber – Verrat“ übertragen [z.B. in „Der Judas von Tirol“].

Epilog Mentalitätsgeschichte
Mentalitätsgeschichte zu betreiben heißt, der wahrnehmungsmäßigen, thematischen und motivgeschichtlichen Genesis nachzuspüren. Die Durchgangs-, Wandlungs-und Folgewege aufzudecken. Und diese aktuell in ihren Ansätzen und Möglichkeiten aufzubereiten. Es heißt auch, impulsarmer, handybeschränkender Zeit eine horizontoffenere und sachoffenere Auseinandersetzung anzubieten.

Literaturverweis
Als Quelle für die obigen Ausführungen verweise ich auf die Serie der EHB-Erschließungsbände, die mit der digitalen Bestandsaufnahme auch bestandsinhaltliche Aspekte, Schwerpunktautoren und Literaturlisten verzeichnen: Erschließung Historischer Bibliotheken in Südtirol – Censimento delle Biblioteche Storiche dell’Alto Adige, beginnend mit Band 1 „Die historische Bibliothek des Stadtmuseums Meran“, Provinz Verlag 2006. Band 6 zur Serie, 2010. In aktueller Ausarbeitung befinden sich die Bände 7, 8 und 9 [s. http://www.ehb.it].
Zur Literatur über einzelne Autoren verweise ich generisch auf deren Nennungen und Behandlung in Fachlexika, wie LThK, Lexikon des gesamten Buchwesen [in 2. Auflage Hiersemann Verl., Stuttgart 1987ff.], Autorenlexika, Literaturlexika [z.B. Kindler], Fachenzyklopädien, Allgemeinenzyklopädien wie Brockhaus, sowie auf Facharbeiten. Außerdem finden sich Hinweise zu den meisten Autoren in digitalen Such-und Quellenmaschinen wie Google oder Wikipedia.


[1] In der Forschung werden die Werke Gottfrieds von Saint-Barbe neuerdings eher Gottfried von St. Viktor zugeschrieben [wofür auch die Zitatangabe in der Überlieferung „um 1170“ spricht]; dazu: Lexikon fr Theologie und Kirche [LThK], Sp. 1137f [Gottfried von Breteuil] und Gottfried von St. Viktor, Sp. 1140.
[2]. Text der Vereinbarung in: Folium Dioecesanum [für die Diözese Bozen-Brixen] 1998/Nr. 4, 183f.
[3] Gesetzesdekrete D.P.R. vom 16.05.2000, Nr. 189 und D.P.R. vom 04.02.2005, Nr. 78, mit weiteren Nachfolgebestimmungen.
[4] Z. B. Nikolaus von Lyra, Postillen, mit über 100 Nachdrucken zwischen 1470-1550 in mehreren europischen Lndern; Angelus Carletus, Summa Angelica, zwischen 1486 und 1500 23 Auflagen u. Nachdrucke bis 177. Ähnliches gilt für Werner Rolevinck, Antoninus Florentinus, Jean Gerson und zahlreiche andere Inkunabelautoren [s. EHB-Inkunabelkatalog].
[5] Die EHB-Erschließung behält die historisch verfügbaren Eigensignaturen und Ordnungen der Bestände nach Möglichkeit bei. Im Dienste eines präziseren Forschungszugriffs ordnet sie die Bestände außerdem sog. Interessenkreisen zu.
[6] Angaben zu Bibliogamma ONLUS und zu EHB unter www.ehb.it.
[7] Agapit Hohenegger, Geschichte der Tirolischen Kapuzinerordens-Provinz [1539-1893], Bd. I, 645.
[8] Hohenegger I, zur seelsorglichen Wirksamkeit siehe S. 350-361, 645-684.
[9] P. Cassian Neuner O.M.C., Literarische Tätigkeit in der Nordtiroler Kapuzinerprovinz. Bio-bibliographische [!] Notizen, Innsbruck 1929.
[10] Z.B. im Lexikon fr Theologie und Kirche, im Lexikon des gesamten Buchwesens, in einschlägigen Facharbeiten zu bestimmten Bereichen, in allgemeinen und lokalen Literaturlexiken, Geschichtswerken u.a. Am mangelhaftesten ist im Allgemeinen die Aufarbeitung im Netzwerk der Dorf- und Stadtbücher des Landes, in denen die historischen Buchbestände in der Regel überhaupt nicht mitberücksichtigt werden.
[11] LThK 8 [1963], Sp. 1368.
[12] Zu W. Rolevinck: Das Lexikon für das gesamte Buchwesen VI (2003) spart die kultur-und religionsgeschichtliche Bedeutung und Rolevincks Reformtätigkeit aus und beschränkt sich auf seine literargeschichtliche Rolle. Einige Werkbeispiele: Fasciculus temporum, zwischen 1470 und 1500 33 Nachdrucke; De origine nobilitatis, 1472, ein Adels-und Frstenspiegel, mit weitreichenden gesellschaftspolitischen Erwägungen; ähnlich: De origine rusticorum, 1472, über den Dritten Stand, Rechte, Lage und Pflichten des Bauernstandes und der Landbevölkerung; Liber de laude Saxoniae, zwischen 1478 und 1529 über fünfzig Nachdrucke. Hinzu kommen religiöse Schriften zur Sakramentenverehrung, zur Marienverehrung, zur Messtheologie, Sermones u.a. Ein stark vorreformatorischer und bemerkenswerter reformprägender Ansatz findet sich in seinen Quaestiones duodecim für die Ausbildung des Klerus [1475].
[13] Lit. dazu: LThK 9 [1965], Sp. 351f.
[14] Zum Werkbestand Andreas Hofer und Tiroler Freiheitskriege s. EHB-Erschließungsserie Bd. 1: Walter Garber, Die historische Bibliothek des Stadtmuseums Meran. La biblioteca del Museo Civico di Merano, Provinz Verlag 2006, 21-64. Im Speziellen sind es die umfassenden Werksammlungen im EHB-Katalog, die eine Fülle von motivgeschichtlichen und gattungshistorischen Untersuchungsansätzen bieten.