EHB des Landes

Die Erschließung der historischen Buchbestände des Landes. Ein Projekt der Stiftung Südtiroler Sparkasse
Bruno Klammer

Aus: Kulturelemente. Zeitschrift für aktuelle Fragen, Nr. 50 (Dez. 2004), S. 5

Als ich vor Jahren für die Kulturelemente den Beitrag „Monasterium sine libris“ schrieb, stand das Erschließungsprojekt für die historischen Buchbestände des Landes noch weit I am Anfang und bezog sich erst auf einige wenige Bibliotheken. Die Einschätzung offizieller Stellen war nicht feindselig, aber zurückhaltend. Mittlerweile gilt das Projekt zur Erschließung der historischen Buchbestände und Bibliotheken des Landes (EHB) als das größte Kulturprojekt in privatrechtlicher Sponsor- und Trägerschaft ohne Beiträge der öffentlichen Hand. 1997 gegründet von der Stiftung Südtiroler Sparkasse, unter deren damaligem Präsidenten Sen. Dr. Hans Rubner, geht es mit Jahreswechsel zu 2005 ins achte Jahr seiner Tätigkeit. Unter ihrem neuen Präsidenten, Honorarkonsul Dr. Gerhard Brandstätter, wurde das Projekt von der Stiftung Südtiroler Sparkasse weiterhin in das Förderprogramm der nächsten Jahre aufgenommen. Mit dem Aufbau und der Leitung des Projekts war von Anfang an P. Bruno Klammer betraut worden.

Die Ausgangslage des Projekts
In Klöstern, alten Pfarransitzen, im Besitz adeliger Familien, bei Sammlern, in Museen lagern seit Jahrhunderten Buchbestände in erheblichem Ausmaße. Zumeist ungenützt und seit vielen Jahrzehnten verschlossen. Seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts sind diese Bestände in Bewegung geraten. Klöster wurden aufgelassen, die bibliothekarische Betreuung war mehr und mehr weggefallen, viele Pfarransitze wurden umgebaut und in der Folge zusammengelegt. Sammler brachen in die kirchlichen und privaten Bestände ein, und so wurde veräußert, ausgelagert, entsorgt.
Für das Projekt lagen zunächst, außer einer grundsätzlichen Sponsorbereitschaft der Stiftung und einer verschwiegenen Zielstrebigkeit im Aufbau, keine günstigen Voraussetzungen vor. Aus einem sehr einfachen und kostenniedrigen Projekt ging es darum, ein solides Wissenschaftsprojekt aufzubauen, mit den Schwerpunkten: dem erfolgreichen Urkundenprojekt des Südtiroler Landesarchivs ein äquivalentes Buchprojekt an die Seite zu stellen; den Verlust der Bestände zu stoppen; die reiche, aber verschlossene Bibliothekslandschaft der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich zu machen.

Der Befund
Ein erster Durchgang durch fast alle 280 Pfarreien, durch die Klöster und viele private Buchträgerschaften ergab ein erstaunliches Bild: Südtirol besaß einst eine Buch- und Bildungslandschaft, die einzigartig war. Und die zweite überraschende Einsicht war: Die Urkundenbestände des Landes hatten sich, von Ausnahmen abgesehen, als Archivbestande weit besser erhalten als viele Bibliotheksbestände. Die Mentalitätsgeschichte des Landes, auch das ergab sich immer deutlicher, das, womit die Bevölkerung des Landes in Jahreskreis, Brauchtum, rechtlichem und sittlichem Verhalten, in ihren Anschauungen und in ihrem gesamten sozialen und geistigen Beziehungsfeld geprägt wurde, eben die Mentalitäts- und Verhaltensgeschichte des Landes, lag in den Buchbeständen weit mehr als in der Urkundendokumentation. Es sei denn, Bücher werden als das betrachtet, was sie eigentlich sind, eine ausgeweitete und umfassende Bestandsdokumentation in diachroner und synchroner Geschichte.

Das Austauschnetz der Buchsammlungen
Ein beachtlicher Teil dessen, was die einstige Buch- und Bibliotheksgeographie des Landes gesammelt, aufgebaut und hervorgebracht hat, liegt außer Landes. Erst wenn auch diese Bestände erschlossen und katalogisiert sein werden, kann sich die Aussage bestätigen: Die einstigen Diözesangebiete Brixen und Trient, mit Einschluss des Churer Anteils auf Tiroler Boden, besaßen ein Austauschnetz von hoher kultureller Dichte und von außerordentlicher Prägkraft. Dieser Mentalitätsbestand mag aus vielen Quellen und Ursachen zusammengeflossen sein: eine Serie von hoch aufgeschlossenen, bildungsorientierten Bischöfen längst vor dem Konzil von Trient; an Reform und Gegenreformation beteiligte und interessierte Landesfürsten; der geographische und personelle Zusammenhang mit dem Konzil von Trient; das Vorhandensein früher Druckorte; eine Pfarrschicht, von der wie selten sonst in Diözesen, soweit sich dies bisher beurteilen lässt, ein hoher Prozentsatz hervorragend ausgebildet war, mit Studienabschlüssen an den Universitäten in Wien, Dillingen, Ingolstadt, Rom, später Innsbruck u.a.

Der aktuelle Projektstand
Bis 2001 konnte das Projekt auf neun Mitarbeiter ausgebaut werden. Bis dahin war EHB verwaltungsmäßig angesiedelt beim Südtiroler Bildungszentrum. In Zusammenarbeit mit der Stiftung wurde dann ein eigenes Verwaltungszentrum und eine eigene Fachorganisation aufgebaut: Bibliogamma, eine Genossenschaft m.b.H. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Bibliogamma besitzen eine volle akademische Ausbildung, entweder als Diplombibliothekare oder in irgendeinem Fachgebiet (Germanistik, Romanistik, Theologie, Geschichte, Philosophie, Publizistik …). Die Erschließungsorte der Katalogteams für 2005 sind: Franziskanerkloster Bozen , Kapuzinerkloster Brixen, Kloster Neustift und Lana, am Sitz des Deutschordens. Eine Projekthomepage gibt Aufschluss über Arbeitsleistung, Sponsorschaft, Projektfortschritt, Mitarbeiter, wichtige Informationen und Bibliogamma. Die Daten sind abrufbar unter www.ehb.it. Dort wird auch der Zugang zum EHB-Katalog im Netzwerk der Universität Bozen angegeben. Die Durchschnittsleistung an Katalogisaten betrug in den letzten Jahren ca. 30.000 Datensätze (Werksätze) im Jahr. Die Aufnahmeleistung hat 2004 eine Viertelmillion Werkeinträge überschritten. Erschlossen wird nach den Regeln RAK-WB (Regeln für alphabetische Katalogisierung in wissenschaftlichen Bibliotheken).

Die Projektpartner – die Projekteinhänger
Seinen Durchbruch verdankt EHB vielen Faktoren: der Sponsorschaft durch die Stiftung Südtiroler Sparkasse; der Mitträgerschaft des Projekts durch die Diözese; der Bereitschaft der Orden, der religiösen Gemeinschaften und der Bestandseigentümer, ihre Bestände aufzubrechen und der Allgemeinheit zugänglich zu machen; der Aufbauhilfe der Bayerischen Staatsbibliothek; einer wachsenden Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Bestandswerte; dem unglaublichen Einsatz der Arbeitsgruppen. Ohne Geld gibt es kein Werk, ohne Wertbewusstsein keinen Einsatz.
Mit den wachsenden Ausmaßen nehmen auch Verantwortung und Verwaltungsaufgaben zu. Der Maschinenpark muss fortwährend erneuert, für neue Aufgaben adaptiert werden. Amtsstellen und Ehrgeiz von allen Seiten klinken sich ein und hängen sich an. Die Netzwerke werden komplexer. Es erfordert einige Anstrengung, Interessen, Instanzen, technische Ansprechpartner, Amtszuständigkeiten, Bestandseigner, Projektorganisation, Sachliches und Personelles im Einklang zu hatten. Es wird vieles an Wünschen und Vorstellungen herangetragen, seitdem Größenordnung und Bedeutung des Projekts in den Vordergrund treten.

Die öffentliche Rechtfertigung der Mittel
Im deutschen Kulturraum hat EHB einen guten Namen. Bereits zwei Fachkräfte des Projekts erhielten inzwischen Berufungen an die Deutsche Staatsbibliothek in Berlin. Das Projekt ist angetreten im Interesse an Kulturwerten des Landes, die bisher in ihrer zentralen Bedeutung nicht erfasst wurden. Darin lag für Projektaufbau und Projektleitung auch ein glücklicher Umstand. Ohne ehrgeiziges Zerren konnte die Arbeit ruhig und autonom gedeihen. Ganz ist es jetzt nicht mehr so. In der zweiten Halbzeit rütteln PR-Prinzen am Dornröschen und wollen dieses für sich. Posthum. Dass die Ehre nach getaner Arbeit und nach der Auferstehung kommt, ist schwerer zu vermitteln. Gleichzeitig steht es einem Sponsor auch zu, seine Mittel öffentlich gerechtfertigt zu sehen. Und der Stiftung gebührt Dank. Im Namen eines Kutturbestandes, der in seiner ganzen Zukunftsbedeutung erst mit Hilfe der Sponsorschaft der Stiftung geweckt werden konnte. Dank gebührt der Diözesanleitung, die mit ihrem Vertragswerk und mit ihrem historischen Verständnis und Bemühen mit an der Wiege stand. Dank gebührt vielen: SBZ, Bayer. Staatsbibliothek, den Bestandseigentümern, Dr. A. Guarriello, Ex-Dator und Deltadator, Dr. H. Leimgruber, der Fa. BOND, Telecom, Legabund, CoopServizi, Projektberatern und dem EHB-Beirat, der das Projekt mit Diskussion und Interesse begleitet; dazu kommen Landesstellen mit ihren Aufsichtspflichten für Erhaltung und Pflege der Bestände. Zu manchen Zeiten wäre wohl auch ein Dank an die Sparkasse Bruneck vonnöten gewesen, bei der EHB/Bibliogamma zeitweilig beängstigend in der Kreide gestanden haben.
Ich kann hier nicht alle und alles aufzählen. Schließen aber möchte ich mit dem allergrößten Dank an die Projektmitarbeiter und an die Bibliogamma-Mitträger Dr. Watter Garber und Dipl. BibI. Manfred Schmidt (München). Unsere Homepage listet die gegenwärtigen Mitarbeiter auf. Nicht aufgelistet finden sich dort alle gesellschaftlichen Instanzen, eine sich ständig verändernde Rechtslage und all die Ansprechpartner für zahllose Bedürfnisse und Aufgaben.
Die Ernte ist groß, und der Arbeiter sind, bei dieser Größenordnung, wenige. Trotzdem, Jahr für Jahr wird Ernte in die Scheune geschoben und füllen sich die Speicher. Wir müssen nicht mehr nach dem fernen Ägypten, wenn wir Hunger an Kultur haben und leiden. Ägypten liegt in Südtirol. Für sehr vieles und sehr reich. Über Internet findet man Klein-Alexandria im Lande. Das Forschungsfeld ist eröffnet. Und der rote Faden der sozialen und geistigen Landesgeschichte führt durch die Werkverzeichnisse im Internet. Und dahinter öffnet sich eine unübersehbare, faszinierende Welt. Das Weitergeben, Werden und Vergehen der Kultur unseres Landes.